Skeyfare

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Skeyfare » Allgemeines » Literarischer Polyeder » Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter

Autor Thema: Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter  (Gelesen 22273 mal)

Offline kolvar

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Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter
« am: 30. Juli 2003, 11:42:53 »
Dann fange ich mal an:

Mein erster Eindruck: schön kurz, aber nicht zu kurz für das Geld, standard qualität.
Von Urs Widmer hatte ich nun seit geraumer Zeit gewußt aber noch nichts gelesen, daher bin ich ohne große Erwartungshaltungen an dieses Buch herangegangen.

Erster Eindruck nach dem Lesen: Was soll man davon halten? Der Titel führt erst einmal in die Irre, es geht nicht um den Geliebten, sondern um die Mutter, deren Leben sich an dem Geliebten ausrichtet.
Die Mutter erscheint ausgesprochen Naiv und zum guten Teil blind für die Welt, z.B. bemerkt sie weder das Aufsteigen der Nazis noch der Faschisten. Sie bewundert nur die Uniformen.
Dazu kommt, daß sie keine Rücksicht auf sich selbst nimmt. Sie opfert sich auf, fährt halsbrecherisch Fahrad etc. Auch gibt sie sich freiwillig immer wieder in psychatrische Behandlung, nachdem sie doch schon so bei der ersten gefoltert wurde.
Dann jedoch gräbt sie, ohne mit der Wimper zu zucken, ihren geliebten(?) Garten um, um für den Krieg Nahrungsmittel anzubauen.  (was dann damit endet, daß sie sich an ihren Hund wendet, als der Krieg vorbei ist, und ihm sagt, daß man jetzt sehen müßte, wie man im Frieden überlebt )
Immer wieder wird dabei "ihre Art" hervorgehoben, wobei sich ihre Art auch ändert. Anfänglich will sie eine gütige Königin sein, später eher eine Sklavin. Dies ist wohl (oberflächen psychologisch) darin begründet, daß sie von ihrem Vater so starke Ablehnung erfahren hat ("Keiner will dich").

Am Ende stellt sich dann noch die Frage, ob der erzählende Sohn vielleicht doch der Sohn des Geliebten ist und warum er diese ganze Geschichte eigentlich erzählt. Denn, da Urs Widmer ein angesehener Schriftsteller ist, hat dies bestimmt einen Grund, schließlich hätte man ja die Geschichte auch einfacher (und glaubwürdiger, denn woher will der Sohn viele der Details überhaupt kennen) aus der Perspektive der Mutter oder aus noch einer anderen Perspektive erzählen können.

Soweit erst einmal einige meiner Gedanken zu dem Buch.
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Offline Erwin B.

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« Antwort #1 am: 30. Juli 2003, 15:25:18 »
Insgesamt fand ich´s gut zu lesen, auch kurzweilig. Die Sprache schön aber direkt, kein großes drumrumfaseln. Unterhaltungswert:gut.
Mir kam die Mutter ziemlich forest-gumpig vor, wie sie da von einer Berühmtheit zur nächsten kommt. Irgendwo zu viel des Guten.
Bei mir bleibt auch die Frage, was uns der Autor wohl mitteilen wollte. Oder wollte er wirklich nur ein Biographie schreiben?
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Offline Makkharezz

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Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
« Antwort #2 am: 30. Juli 2003, 16:55:17 »
Ich denke folgendes: Wir lesen hier von einer Frau, die nie ein eigenes Leben gelebt hat, sondern die sich immer nur über andere Menschen (ihren Vater, Edwin) oder ihre Aufgaben (Perfekte Hausfrau, Organisatorin, Gärtnerin) definiert hat. Dadurch kommt wohl auch die von Kolvar angesprochene "Naivität": die Mutter konzentriert sich so sehr auf ihre Pflichten ist, so dass neue Gedanken, Weltbilder, Geschehnisse gar nicht wahrnimmt.

Welche Botschaft der Autor verbreiten will, ob was Biographisches dran ist usw. weiß ich auch nicht. Aber für mich ist folgendes wichtig: Ich kenne einige Leute, die sich (in nicht ganz so extremer Weise) so sehr in eine Rolle stürzen, dass ihre eigene Persönlichkeit ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Zum Beispiel gibt es oft Mütter und Hausfrauen, die sich jahrzehntelang völlig in den Dienst ihrer Familie stellen und sich nie Zeit für sich selbst nehmen. Dann im mittleren Alter, wenn die Kinder erwachsen und ausgezogen sind, merken sie plötzlich, wie leer ihr Leben eigentlich ist und kriegen total die Lebenskrise. Deshalb würde ich die Botschaft ableiten: Man sollte seine Persönlichkeit nicht verdrängen. Natürlich kann man sich trotzdem engagieren, für die Familie, Freunde, für den Beruf, für den Kleintierzüchterverein... , aber man darf dabei nicht zu kurz kommen. Oder umgekehrt: Ich darf nicht so viel Angst vor dem Ich-Sein haben, dass ich mich hinter lauter Aufgaben verstecke, mich in die Pflichten stürz, nur um vor mir selbst zu flüchten.

Um mal eine neue Frage aufzuwerfen: Ich habe noch nicht ganz begriffen, was die Mutter dazu gebracht hat, so zu werden. Scheinbar war sie ja schon als Kind irgendwie komisch. Aber über ihre Kindheit wird so viel nicht erzählt. Hat der Vater sie abgelehnt? Warum? Hat er sie dazu gedrängt, die Rolle ihrer Mutter zu übernehmen? Oder bleibt das im Buch alles im Dunkeln?
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Offline kolvar

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Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
« Antwort #3 am: 30. Juli 2003, 17:20:40 »
Ich denke, der "Forest-Gump" Vergleich hinkt, da sie keinesfalls dumm ist. Alles, was sie tut, ist ausgesprochen kompetent: Buchführung, Gartenarbeit, Pflicht der Hausfrau und Mutter (wobei über ihre Art als Mutter wenig gesagt wird), Gesellschafterin. Auch, daß sie von einer Berühmtheit zu nächsten stolpert, stimmt so nicht. Die einzige Person der Zeitgeschichte, die sie sieht, ist Moussolini, alle anderen sind fiktiv (selbst der Komponist, obwohl er wohl an eine andere Gestalt angelehnt sein soll). Auch, daß sie die Zeichen der Zeit verkennt, trifft nur teilweise zu, da sie es immer schafft, für ihre Familie zu sorgen. (außerdem rührt sie einen nicht).

Ich glaube, der Grund für die "Art" der Mutter, wird nicht wirklich geklärt, nur warum sich ihre Art so entwickelt hat. Sie hatte ihre Art wohl schon immer, nur anders (dieses Stundenlange Starren). Ich denke auch nicht, daß sie wirklich von ihrem Vater abgelehnt wurde. Irgendwie macht dieser Ausruf des Vaters, daß sie keiner wolle, auf mich den Eindruck einer einmaligen Wut, denn sonst scheinen sich die Eltern eher freundlich verhalten zu haben (z.B. schlichen sie immer vorsichtig weg, wenn die Mutter ihre Starre hatte, um sie nicht zu stören und erwähnten es auch nicht).
Es sind dann so die kleinen Sätze, die in Wut ausgesprochen werden, die das Leben bestimmen. Das Gefühl der Ablehnung und der beständige Verlust aller Sicherheiten und vertrauten (was nicht wirklich so ist, aber im Buch so vermittelt wird: Tot des Vaters, die italienische Familie geht zugrunde, der Geliebte wendet sich ab, der Garten wird umgegraben, die gute Freundin geht nach Berlin und später ins KZ. Hingegen der Vater und der Sohn, die ja was festes sind, tauchen in der Geschichte nicht auf, stellen für die Mutter also keine feste Größe dar), führen dazu, daß sie versucht, alles so perfekt wie möglich zu machen und am alten festzuhalten (Diese Interpretation wird aber wieder durch das umgraben des Gartens gestört. Ich muß mal das ganze noch mal überdenken).

Zwischenzeitlich hatte ich auch das Gefühl, daß auch ein kleines Element Fantasy mit drinsteckt. Denn wenn man die Biography der Urmutter des Clans (jener, die mit dem unbekannten Afrikaner) mit der Mutter vergleicht, stellt man schon gewisse Paralellen fest (auf dieser Schiene ist es auch wieder sehr wahrscheinlich, daß der Erzähler tatsächlich der Sohn des Dirigenten ist).

Die Botschaft, die du rausließt M-Unaussprechlich, ist zwar schön, aber die Mutter im Buch scheint eigentlich nie diese Krise zu haben (OK, sie begeht Selbstmord, aber da ist die Motivation anders, denke ich). Vielmehr scheint sie sich eher nach der Eingebundenheit zu sehnen, weil sie aus ihren ursprünglichen Kreisen herausgefallen ist.
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Offline Holgi

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« Antwort #4 am: 30. Juli 2003, 23:33:17 »
Sehr gut gefallen hat mir die angenehme, schlicht-elegante Sprache. Das Buch hat mich gut unterhalten und ließ sich gut weglesen. Kein Meisterwerk aber Unterhaltungsliteratur auf hohem Niveau, die nicht zuletzt (zumindest mir) Lust auf das Thema Neue Klassik weckt. Den Mussolini-/Nazi-/Italienkram fand ich jedoch überflüssig. Irgendwo scheint geschrieben zu stehen, daß die Faschismusproblematik in jedem deutschsprachigen Buch zumindest angerissen werden muß. Die Naivität der ansonsten ja alles andere als dummen Mutter in diesem Punkt wirkt auch etwas aufgesetzt. Clara muß ja förmlich blind und taub durch die Welt gehen. Ist aber nicht stimmig, denn ansonsten ist die Mutter ja äußerst tüchtig. Überhaupt: Die Mutter als eigentliche Hauptperson bleibt seltsam blaß und unscharf. So ganz schlau werde ich aus ihr nicht. Sie ist mir sogar einigermaßen fremd geblieben. Etwas genauer hätte ich schon gewußt, in was ihre "Art" eigentlich bestand. Edwin hingegen ist eine ganz starke, präzise gezeichnete Figur. Vor allem die stimmige Schlußszene (die Begegnung mit dem Sohn) hat mich überzeugt. Endlich mal ein gutes, passendes Ende,, das man nicht schon 1000 mel so oder ähnlich gelesen hat. Die Grundstimmung des Buches erinnert  streckenweise an eines meiner Lieblingsbücher, F.Scott Fitzgeralds "Der Große Gatsby". Auch dort jagt die Hauptperson vergeblich  einem alten Traum hinterher. Gatsby streckt sogar regelmäßig seine Arme in Richtung der Lichter am anderen Ufer aus. Vielleicht sollte man die beiden ja mal einander vorstellen. Die Klasse des soeben genannten Werkes erreicht Urs jedoch nicht, auch wenn Antaras in diesem Punkt wohl anderer Meinung  sein dürfte. Und die Geschichte mit dem Neger erinnert ziemlich stark an John Irvings "Garp". Die Parallelen zu "Forrest Gump" sehe ich übrigens nicht. Dieser Film verkörpert ja das alte Armee-Motto: "Sei schön dumm, stell keine Fragen, mach alles mit, und Du wirst ein Held". Und wer sich aufleht, bekommt Aids. Diese  schon fast faschistoide Grundeinstellung findet sich in dem Buch nicht. Ganz im Gegenteil: Die Grundstimmung ist sehr menschlich und ein bißchen melancholisch. Und die Hauptperson ist eine schlaue Frau. Schade nur, daß so vieles unscharf bleibt. Aber in dem neuen Roman "Das Buch des Vaters" sollen sich ja ganz neue Aspekte der Person Clara Molinari finden....Das war´s zunächst von meiner Seite aus. Meri wird uns auch noch ihre Meinung geigen.

Offline Chacota

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« Antwort #5 am: 31. Juli 2003, 10:54:43 »
Ich kannte urs nicht und bin eher mißtrauisch ans Werk gegangen:
Ich habe das Buch gerne gelesen, sozusagen an einem Stück weg. Die Trauer der "Geliebten", die schon bald keine mehr ist, hat mich sehr berührt. Viele der ambivalenten Gefühle, die unsere Mutter hat konnte ich gut nachvollziehen, gerade als sie das erste Mal ihre Verwandten in Italien besucht - sehr nachvollziehbar ihre Gefühle um Sehnsucht dazuzugehören und der Wirrnis eines solch lauten Haushalts. Viele der Personen hatte ich schon liebgewonnen und gehen mir beim zweiten Besuch einfach verloren, haben sich ohne Erklärung stark verändert (wie diese seltsame Angst vor Gewittern von Boris und der wahrlich überflüssige Besuch Ms.)
Auch die Allwissenheit des erzählenden Sohnes hat mich nicht gestört, wohl aber die Mystifizierung ihrer "Andersartigkeit" (da gings mir wie euch allen), ein paar erklärende Worte hätten da nicht geschadet, denn insgesamt sehe ich es nicht als einen Roman mit fantasy-Anflügen, für mich stehen viele der Rätsel eher für die Unterschiedlichkeit, mit der wir die Wirklichkeit wahrnehmen (wie die von Anfang an unerwiderte Liebe unserer Mutter, was sie aber scheints stets verdrängt hat). Sicher, unsere Mutter will die Wahrheit in ihrem Leben nicht sehen, aber als sooo unwahrscheinlich sehe ich solches Verhalten nicht an, da gehts mir wie Mak).

Holgi: Bei dem Neger und dem Zeugungsakt mußte ich auch an Garp denken! Und ich darf für Antaras sprechen: Stimmt, Urs fand ich besser als Fitzgerald, sorry   ;)

Den Selbstmord am Ende fand ich höchst überflüssig, er passt auch nicht zum steten Überleben auch ohne Freude unserer Mutter, ausserdem hätte ich zu gerne ein statement des Sohnes über ihre Mutterqualitäten bekommen. Die Psychatrieszene passte auch nicht zum Rest, immerhin habe ich erst gedacht, sie hätte nen Schatten weg als sie ihren Garten umgrub; auch wenn es damals wohl mit den Elektroschocks gang und gäbe war (und wohl auch wirklich geholfen hat, aber frage nicht nach dem Preis).

Also, ich werde wohl nochmal eins von ihm lesen.
« Letzte Änderung: 31. Juli 2003, 10:55:25 von Chacota »
\„Es gibt nichts mehr zu beginnen, nichts zu entscheiden. Ich muss es nur noch vollenden.“\

Offline kolvar

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« Antwort #6 am: 31. Juli 2003, 11:07:10 »
Ach, ich habe ja noch nichts zum Stil gesagt. Ich fand ihn nicht schlecht, aber der Fluß wollte sich einfach nicht einstellen, irgendwie war sein Satzbau für mein Lesen ungewohnt.

Insgesamt glaube ich gar nicht, daß die Mutter unschaft gezeichnet ist. Ich denke, daß es bestimmte Schlüsselszenen gibt, anhand derer man den Rest erklären und deuten kann. Auch, wie schon erwähnt, halte ich den Umstand, daß der Sohn erzählt, für wichtig.
Aber jetzt müßte man vielleicht wirklich an eine Interpretatino gehen.
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Offline Erwin B.

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Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
« Antwort #7 am: 31. Juli 2003, 11:10:13 »
Ich sag ja nur, dass einiges an dem, was der Mutter widerfährt, und wie sie die Bedeutung dessen, was da passiert gar nicht so recht mitkriegt, ein wenig an Forrest Gump erinnert. Nicht nur Mussolini, auch Bartok, die Judenverfolgungsszenen in Frankfurt usw.. Natürlich ist sie nicht so eingeschränkt wie er, und ziemlich patent.

Kann es sein, dass sie im Grunde immer nur reagiert auf alles, was auf sie zukommt? Sie nimmt die Aufgaben an, z.B. auch den Abstieg vom Berg oder den Gartenumbau zur Versorgung ihrer Familie. Sie hat keinen eigenen Plan, und merkt auch nicht, dass sie eigentlich ziemlich viel kann.

Zu den Eltern, Kolvar, bin ich völlig anderer Meinung. Die haben zwar nichts mit ihrem "anderssein" zu tun, aber nett waren sie auch nicht. Immerhin haben sie sie ausgesperrt, wenn sie auch nur 1 Minute zu spät nach Hause kam, und die Art mit ihrem "andersein" umzugehen, ist auch nicht so fein. Sie ignorieren die Problematik, und machen abfällige Kommentare darüber, die der Mutter nicht gerade mehr selbstvertrauen geben.

Vielleicht ist ihr "anderssein" entweder eine physiologische Krankheit, zumindest dachte ich zuerst an epileptische Absencen, oder halt eine Art Fluchtverhalten vor ihrem Leben. Ja auch nicht so nett, dass sie ihr Kind mit reinziehen will.

Was ich gut fand, unter Betrachtung des Endes, dass Widmer den Vater in der Erzählung soweit raushält, dass man denkt, hm, der spielt wohl gar keine Rolle. Und dann erkennt, ah, das war dann ja doch Edwin.
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Offline kolvar

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« Antwort #8 am: 31. Juli 2003, 15:03:54 »
Stimmt, das Aussperren hatte ich vergessen.
Das mit dem Reagieren stimmt wohl auch, wobei sie durch evtl. riskante Manöver (wie das Radfahren) daraus auszubrechen versucht, also entweder die einzige Freiheit, oder tatsächlich auch nur wieder ein (ab)reagieren.
eine Art Krankheit trifft wohl zu, aber es wird durch ihre Traumwelt, in die sie dann (nach Aussage ihres Sohnes) verfällt, überdeckt.

Aber woran können wir festmachen, das der Sohn tatsächlich von Edwin stammt? Bisher doch nur an den Worten Edwins und an der Stammmutter, die ebenfalls ein uneheliches Kind ist und insoweit ein wenig Parallel zu sehen wäre.
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« Antwort #9 am: 31. Juli 2003, 15:12:18 »
Und vielleicht daran, dass es gar keinen anderen Vater gibt. Nirgendwo wird er erwähnt, es wird nur geschickt offen gelassen, ob da noch wer ist oder nicht. (oder hab ich was übersehen?)
Theoretisch kämen natürlich noch andere infrage, z.B. Boris vielleicht.
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Offline kolvar

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« Antwort #10 am: 31. Juli 2003, 15:20:05 »
Doch, er wird erwähnt: Das die Mutter geheiratet hat (glaube ich) und (da bin ich sicher), daß der Vater gestorben ist.
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Offline Makkharezz

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« Antwort #11 am: 31. Juli 2003, 18:38:26 »
Ich wikll ja nicht Korinthenkacken, (alles vor "aber" ist gelogen...), aber Kolvars Bemerkung, dass die Mutter außer Mussolini nur fiktive Berühmtheiten trifft, muss ich vehement widersprechen: Willst du Bartok etwa als fiktiv abstempeln ????

Dann will ich dem Buch noch eine gute Eigenschaft zusprechen: Es hat eine Diskussion in Gang gebracht, in der wir mehrere verschiedene Deutungen auf den Tisch bringen. Das finde ich immer gut. Rech geben muss ih allerdings denjenigen von euch, die sich eine etwas ausführlichere Beschreibung der Mutter und ihres Innenlebens gewünscht haben. Mir geht's auch so, dass ich gern mehr über das "Wie" und vor allem das "Warum" gewusst hätte.

@Holgi: Wenn du dich mit der Musik des 20. Jahrhunderts beschäftigen willst, hast du meine Hochachtung. Ich musste mich ja in der Schule zwangsläufig mit Ligeti, Messien und Penderecki rumschlagen, und ich konnte so gar keinen Zugang finden. Bartok mal ausgenommen, den kann man auch ohne Drogen hören. Aber berichte doch mal, wie's dir dabei ergangen ist, das interessiert mich.

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Offline kolvar

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Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
« Antwort #12 am: 31. Juli 2003, 20:15:22 »
jajaja, Bartok existiert auch, aber den hatte ich vergessen und ich halte ihn für die Mutter an sich auch nicht für so wichtig (oder für die Forest Gump Geschichte, um die es ging). So und da alles vor dem aber gelogen ist, existierte Bartok nämlich doch nicht (g).

Ansonsten wiederspreche ich jetzt, daß die Mutter zu wenig charakterisiert sei. Jeder, der dies behauptet, hat nur nicht genug interpretiert (Danke für ihre Aufmerksamkeit, ich gehe jetzt in Deckung)
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« Antwort #13 am: 01. August 2003, 00:13:53 »
Um es einmal ganz klar zu sagen: Nichts spricht dafür, daß Edwin tatsächlich der Vater ist. Falls er es tatsächlich doch sein sollte (was ich nicht glaube), hätte der Autor das schon etwas andeuten müssen. Clara hatt (irgend)einen Mann geheiratet, der keine andere Funktion hatte als der Vater des Sohnes zu sein, der offenbar wiederum keine andere Aufgabe hat als ihre Geschichte zu erzählen. Ich kann mich allerdings noch sehr gut daran erinnern, wie es im Deutschunterricht immer hieß, daß ein "allwissender, personalisierter Dritter" als Erzähler nicht gerade als das Höchste angesehen werde. Wie auch imer: Mich hat´s nicht gestört. Solche Themen sind wohl auch eher etwas für Spezialisten. Mich interessiert in erster Linie, ob ein Autor eine gute Geschichte zu erzählen hat. In welcher Perspektive er es tut, ist zweitrangig. Noch ein Wort zum Selbstmord: Hat mich nicht gestört. Hat sich ja auch angekündigt, nachdem das (vermeintliche) Band zu Edwin endgültig zerschnitten worden war. Unstimmig fand ich den Selbsttmord jedenfalls nicht.

@ Makk:
Ich höre gerne mal Klassik des 20sten Jahrhunderts, obwohl ich Popmusik generell vorziehe. Jedenfalls plätschert es nicht so langweilig dahin wie vieles aus der "klassischen Klassik". Vieles ist faszinierend. Hörbar sollte es jedoch schon sein, so z.B. Gershwin, Strawinsky (!), Bartok, M.Nyman, Bernstein, Richard Strauss, Khatchaturian, P.Glass, Ligeti. Stockhausen und Konsorten sind nichts für mich.  


Offline Chacota

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Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
« Antwort #14 am: 01. August 2003, 12:04:39 »
Ich finde die Idee einfach interessant, dass Edwin der Vater ist, wenn es für mich auch eher so ist, dass der Vater einfach keine Rolle spielt und deshalb nicht in Erscheinung tritt (sehe ich so wie Holgi).
@kolvar: Ja, die Mutter wird ständig 'beschrieben', nur fehlt mir manchmal halt der Hintergrund, warum sie so ist. Dann kann man zwar viel interpretieren, aber an manchen Stellen fehlts halt doch (da gehts mir wie Mak).

So, nun habe ich ein paar der Kritiken gelesen, aber da ich Paul Sacher nicht in Erwin gesehen habe läßt mich die schärftste Kritik völlig kalt; wie geht euch das?
Das zweite, dass es biographische Anlehnung an das Leben seiner Mutter (und ihn?) hat finde ich reizvoll, macht aber das Buch weder besser noch schlechter für mich.
Das Leiden des Sohnes habe ich nie so wahrgenommen, im Rückblick ist es aber durchaus spürbar, habe ich wohl überlesen.
« Letzte Änderung: 01. August 2003, 12:07:44 von Chacota »
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