Skeyfare

Allgemeines => Literarischer Polyeder => Thema gestartet von: kolvar am 30. Juli 2003, 11:42:53

Titel: Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter
Beitrag von: kolvar am 30. Juli 2003, 11:42:53
Dann fange ich mal an:

Mein erster Eindruck: schön kurz, aber nicht zu kurz für das Geld, standard qualität.
Von Urs Widmer hatte ich nun seit geraumer Zeit gewußt aber noch nichts gelesen, daher bin ich ohne große Erwartungshaltungen an dieses Buch herangegangen.

Erster Eindruck nach dem Lesen: Was soll man davon halten? Der Titel führt erst einmal in die Irre, es geht nicht um den Geliebten, sondern um die Mutter, deren Leben sich an dem Geliebten ausrichtet.
Die Mutter erscheint ausgesprochen Naiv und zum guten Teil blind für die Welt, z.B. bemerkt sie weder das Aufsteigen der Nazis noch der Faschisten. Sie bewundert nur die Uniformen.
Dazu kommt, daß sie keine Rücksicht auf sich selbst nimmt. Sie opfert sich auf, fährt halsbrecherisch Fahrad etc. Auch gibt sie sich freiwillig immer wieder in psychatrische Behandlung, nachdem sie doch schon so bei der ersten gefoltert wurde.
Dann jedoch gräbt sie, ohne mit der Wimper zu zucken, ihren geliebten(?) Garten um, um für den Krieg Nahrungsmittel anzubauen.  (was dann damit endet, daß sie sich an ihren Hund wendet, als der Krieg vorbei ist, und ihm sagt, daß man jetzt sehen müßte, wie man im Frieden überlebt )
Immer wieder wird dabei "ihre Art" hervorgehoben, wobei sich ihre Art auch ändert. Anfänglich will sie eine gütige Königin sein, später eher eine Sklavin. Dies ist wohl (oberflächen psychologisch) darin begründet, daß sie von ihrem Vater so starke Ablehnung erfahren hat ("Keiner will dich").

Am Ende stellt sich dann noch die Frage, ob der erzählende Sohn vielleicht doch der Sohn des Geliebten ist und warum er diese ganze Geschichte eigentlich erzählt. Denn, da Urs Widmer ein angesehener Schriftsteller ist, hat dies bestimmt einen Grund, schließlich hätte man ja die Geschichte auch einfacher (und glaubwürdiger, denn woher will der Sohn viele der Details überhaupt kennen) aus der Perspektive der Mutter oder aus noch einer anderen Perspektive erzählen können.

Soweit erst einmal einige meiner Gedanken zu dem Buch.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Erwin B. am 30. Juli 2003, 15:25:18
Insgesamt fand ich´s gut zu lesen, auch kurzweilig. Die Sprache schön aber direkt, kein großes drumrumfaseln. Unterhaltungswert:gut.
Mir kam die Mutter ziemlich forest-gumpig vor, wie sie da von einer Berühmtheit zur nächsten kommt. Irgendwo zu viel des Guten.
Bei mir bleibt auch die Frage, was uns der Autor wohl mitteilen wollte. Oder wollte er wirklich nur ein Biographie schreiben?
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Makkharezz am 30. Juli 2003, 16:55:17
Ich denke folgendes: Wir lesen hier von einer Frau, die nie ein eigenes Leben gelebt hat, sondern die sich immer nur über andere Menschen (ihren Vater, Edwin) oder ihre Aufgaben (Perfekte Hausfrau, Organisatorin, Gärtnerin) definiert hat. Dadurch kommt wohl auch die von Kolvar angesprochene "Naivität": die Mutter konzentriert sich so sehr auf ihre Pflichten ist, so dass neue Gedanken, Weltbilder, Geschehnisse gar nicht wahrnimmt.

Welche Botschaft der Autor verbreiten will, ob was Biographisches dran ist usw. weiß ich auch nicht. Aber für mich ist folgendes wichtig: Ich kenne einige Leute, die sich (in nicht ganz so extremer Weise) so sehr in eine Rolle stürzen, dass ihre eigene Persönlichkeit ganz in den Hintergrund gedrängt wird. Zum Beispiel gibt es oft Mütter und Hausfrauen, die sich jahrzehntelang völlig in den Dienst ihrer Familie stellen und sich nie Zeit für sich selbst nehmen. Dann im mittleren Alter, wenn die Kinder erwachsen und ausgezogen sind, merken sie plötzlich, wie leer ihr Leben eigentlich ist und kriegen total die Lebenskrise. Deshalb würde ich die Botschaft ableiten: Man sollte seine Persönlichkeit nicht verdrängen. Natürlich kann man sich trotzdem engagieren, für die Familie, Freunde, für den Beruf, für den Kleintierzüchterverein... , aber man darf dabei nicht zu kurz kommen. Oder umgekehrt: Ich darf nicht so viel Angst vor dem Ich-Sein haben, dass ich mich hinter lauter Aufgaben verstecke, mich in die Pflichten stürz, nur um vor mir selbst zu flüchten.

Um mal eine neue Frage aufzuwerfen: Ich habe noch nicht ganz begriffen, was die Mutter dazu gebracht hat, so zu werden. Scheinbar war sie ja schon als Kind irgendwie komisch. Aber über ihre Kindheit wird so viel nicht erzählt. Hat der Vater sie abgelehnt? Warum? Hat er sie dazu gedrängt, die Rolle ihrer Mutter zu übernehmen? Oder bleibt das im Buch alles im Dunkeln?
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 30. Juli 2003, 17:20:40
Ich denke, der "Forest-Gump" Vergleich hinkt, da sie keinesfalls dumm ist. Alles, was sie tut, ist ausgesprochen kompetent: Buchführung, Gartenarbeit, Pflicht der Hausfrau und Mutter (wobei über ihre Art als Mutter wenig gesagt wird), Gesellschafterin. Auch, daß sie von einer Berühmtheit zu nächsten stolpert, stimmt so nicht. Die einzige Person der Zeitgeschichte, die sie sieht, ist Moussolini, alle anderen sind fiktiv (selbst der Komponist, obwohl er wohl an eine andere Gestalt angelehnt sein soll). Auch, daß sie die Zeichen der Zeit verkennt, trifft nur teilweise zu, da sie es immer schafft, für ihre Familie zu sorgen. (außerdem rührt sie einen nicht).

Ich glaube, der Grund für die "Art" der Mutter, wird nicht wirklich geklärt, nur warum sich ihre Art so entwickelt hat. Sie hatte ihre Art wohl schon immer, nur anders (dieses Stundenlange Starren). Ich denke auch nicht, daß sie wirklich von ihrem Vater abgelehnt wurde. Irgendwie macht dieser Ausruf des Vaters, daß sie keiner wolle, auf mich den Eindruck einer einmaligen Wut, denn sonst scheinen sich die Eltern eher freundlich verhalten zu haben (z.B. schlichen sie immer vorsichtig weg, wenn die Mutter ihre Starre hatte, um sie nicht zu stören und erwähnten es auch nicht).
Es sind dann so die kleinen Sätze, die in Wut ausgesprochen werden, die das Leben bestimmen. Das Gefühl der Ablehnung und der beständige Verlust aller Sicherheiten und vertrauten (was nicht wirklich so ist, aber im Buch so vermittelt wird: Tot des Vaters, die italienische Familie geht zugrunde, der Geliebte wendet sich ab, der Garten wird umgegraben, die gute Freundin geht nach Berlin und später ins KZ. Hingegen der Vater und der Sohn, die ja was festes sind, tauchen in der Geschichte nicht auf, stellen für die Mutter also keine feste Größe dar), führen dazu, daß sie versucht, alles so perfekt wie möglich zu machen und am alten festzuhalten (Diese Interpretation wird aber wieder durch das umgraben des Gartens gestört. Ich muß mal das ganze noch mal überdenken).

Zwischenzeitlich hatte ich auch das Gefühl, daß auch ein kleines Element Fantasy mit drinsteckt. Denn wenn man die Biography der Urmutter des Clans (jener, die mit dem unbekannten Afrikaner) mit der Mutter vergleicht, stellt man schon gewisse Paralellen fest (auf dieser Schiene ist es auch wieder sehr wahrscheinlich, daß der Erzähler tatsächlich der Sohn des Dirigenten ist).

Die Botschaft, die du rausließt M-Unaussprechlich, ist zwar schön, aber die Mutter im Buch scheint eigentlich nie diese Krise zu haben (OK, sie begeht Selbstmord, aber da ist die Motivation anders, denke ich). Vielmehr scheint sie sich eher nach der Eingebundenheit zu sehnen, weil sie aus ihren ursprünglichen Kreisen herausgefallen ist.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Holgi am 30. Juli 2003, 23:33:17
Sehr gut gefallen hat mir die angenehme, schlicht-elegante Sprache. Das Buch hat mich gut unterhalten und ließ sich gut weglesen. Kein Meisterwerk aber Unterhaltungsliteratur auf hohem Niveau, die nicht zuletzt (zumindest mir) Lust auf das Thema Neue Klassik weckt. Den Mussolini-/Nazi-/Italienkram fand ich jedoch überflüssig. Irgendwo scheint geschrieben zu stehen, daß die Faschismusproblematik in jedem deutschsprachigen Buch zumindest angerissen werden muß. Die Naivität der ansonsten ja alles andere als dummen Mutter in diesem Punkt wirkt auch etwas aufgesetzt. Clara muß ja förmlich blind und taub durch die Welt gehen. Ist aber nicht stimmig, denn ansonsten ist die Mutter ja äußerst tüchtig. Überhaupt: Die Mutter als eigentliche Hauptperson bleibt seltsam blaß und unscharf. So ganz schlau werde ich aus ihr nicht. Sie ist mir sogar einigermaßen fremd geblieben. Etwas genauer hätte ich schon gewußt, in was ihre "Art" eigentlich bestand. Edwin hingegen ist eine ganz starke, präzise gezeichnete Figur. Vor allem die stimmige Schlußszene (die Begegnung mit dem Sohn) hat mich überzeugt. Endlich mal ein gutes, passendes Ende,, das man nicht schon 1000 mel so oder ähnlich gelesen hat. Die Grundstimmung des Buches erinnert  streckenweise an eines meiner Lieblingsbücher, F.Scott Fitzgeralds "Der Große Gatsby". Auch dort jagt die Hauptperson vergeblich  einem alten Traum hinterher. Gatsby streckt sogar regelmäßig seine Arme in Richtung der Lichter am anderen Ufer aus. Vielleicht sollte man die beiden ja mal einander vorstellen. Die Klasse des soeben genannten Werkes erreicht Urs jedoch nicht, auch wenn Antaras in diesem Punkt wohl anderer Meinung  sein dürfte. Und die Geschichte mit dem Neger erinnert ziemlich stark an John Irvings "Garp". Die Parallelen zu "Forrest Gump" sehe ich übrigens nicht. Dieser Film verkörpert ja das alte Armee-Motto: "Sei schön dumm, stell keine Fragen, mach alles mit, und Du wirst ein Held". Und wer sich aufleht, bekommt Aids. Diese  schon fast faschistoide Grundeinstellung findet sich in dem Buch nicht. Ganz im Gegenteil: Die Grundstimmung ist sehr menschlich und ein bißchen melancholisch. Und die Hauptperson ist eine schlaue Frau. Schade nur, daß so vieles unscharf bleibt. Aber in dem neuen Roman "Das Buch des Vaters" sollen sich ja ganz neue Aspekte der Person Clara Molinari finden....Das war´s zunächst von meiner Seite aus. Meri wird uns auch noch ihre Meinung geigen.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Chacota am 31. Juli 2003, 10:54:43
Ich kannte urs nicht und bin eher mißtrauisch ans Werk gegangen:
Ich habe das Buch gerne gelesen, sozusagen an einem Stück weg. Die Trauer der "Geliebten", die schon bald keine mehr ist, hat mich sehr berührt. Viele der ambivalenten Gefühle, die unsere Mutter hat konnte ich gut nachvollziehen, gerade als sie das erste Mal ihre Verwandten in Italien besucht - sehr nachvollziehbar ihre Gefühle um Sehnsucht dazuzugehören und der Wirrnis eines solch lauten Haushalts. Viele der Personen hatte ich schon liebgewonnen und gehen mir beim zweiten Besuch einfach verloren, haben sich ohne Erklärung stark verändert (wie diese seltsame Angst vor Gewittern von Boris und der wahrlich überflüssige Besuch Ms.)
Auch die Allwissenheit des erzählenden Sohnes hat mich nicht gestört, wohl aber die Mystifizierung ihrer "Andersartigkeit" (da gings mir wie euch allen), ein paar erklärende Worte hätten da nicht geschadet, denn insgesamt sehe ich es nicht als einen Roman mit fantasy-Anflügen, für mich stehen viele der Rätsel eher für die Unterschiedlichkeit, mit der wir die Wirklichkeit wahrnehmen (wie die von Anfang an unerwiderte Liebe unserer Mutter, was sie aber scheints stets verdrängt hat). Sicher, unsere Mutter will die Wahrheit in ihrem Leben nicht sehen, aber als sooo unwahrscheinlich sehe ich solches Verhalten nicht an, da gehts mir wie Mak).

Holgi: Bei dem Neger und dem Zeugungsakt mußte ich auch an Garp denken! Und ich darf für Antaras sprechen: Stimmt, Urs fand ich besser als Fitzgerald, sorry   ;)

Den Selbstmord am Ende fand ich höchst überflüssig, er passt auch nicht zum steten Überleben auch ohne Freude unserer Mutter, ausserdem hätte ich zu gerne ein statement des Sohnes über ihre Mutterqualitäten bekommen. Die Psychatrieszene passte auch nicht zum Rest, immerhin habe ich erst gedacht, sie hätte nen Schatten weg als sie ihren Garten umgrub; auch wenn es damals wohl mit den Elektroschocks gang und gäbe war (und wohl auch wirklich geholfen hat, aber frage nicht nach dem Preis).

Also, ich werde wohl nochmal eins von ihm lesen.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 31. Juli 2003, 11:07:10
Ach, ich habe ja noch nichts zum Stil gesagt. Ich fand ihn nicht schlecht, aber der Fluß wollte sich einfach nicht einstellen, irgendwie war sein Satzbau für mein Lesen ungewohnt.

Insgesamt glaube ich gar nicht, daß die Mutter unschaft gezeichnet ist. Ich denke, daß es bestimmte Schlüsselszenen gibt, anhand derer man den Rest erklären und deuten kann. Auch, wie schon erwähnt, halte ich den Umstand, daß der Sohn erzählt, für wichtig.
Aber jetzt müßte man vielleicht wirklich an eine Interpretatino gehen.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Erwin B. am 31. Juli 2003, 11:10:13
Ich sag ja nur, dass einiges an dem, was der Mutter widerfährt, und wie sie die Bedeutung dessen, was da passiert gar nicht so recht mitkriegt, ein wenig an Forrest Gump erinnert. Nicht nur Mussolini, auch Bartok, die Judenverfolgungsszenen in Frankfurt usw.. Natürlich ist sie nicht so eingeschränkt wie er, und ziemlich patent.

Kann es sein, dass sie im Grunde immer nur reagiert auf alles, was auf sie zukommt? Sie nimmt die Aufgaben an, z.B. auch den Abstieg vom Berg oder den Gartenumbau zur Versorgung ihrer Familie. Sie hat keinen eigenen Plan, und merkt auch nicht, dass sie eigentlich ziemlich viel kann.

Zu den Eltern, Kolvar, bin ich völlig anderer Meinung. Die haben zwar nichts mit ihrem "anderssein" zu tun, aber nett waren sie auch nicht. Immerhin haben sie sie ausgesperrt, wenn sie auch nur 1 Minute zu spät nach Hause kam, und die Art mit ihrem "andersein" umzugehen, ist auch nicht so fein. Sie ignorieren die Problematik, und machen abfällige Kommentare darüber, die der Mutter nicht gerade mehr selbstvertrauen geben.

Vielleicht ist ihr "anderssein" entweder eine physiologische Krankheit, zumindest dachte ich zuerst an epileptische Absencen, oder halt eine Art Fluchtverhalten vor ihrem Leben. Ja auch nicht so nett, dass sie ihr Kind mit reinziehen will.

Was ich gut fand, unter Betrachtung des Endes, dass Widmer den Vater in der Erzählung soweit raushält, dass man denkt, hm, der spielt wohl gar keine Rolle. Und dann erkennt, ah, das war dann ja doch Edwin.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 31. Juli 2003, 15:03:54
Stimmt, das Aussperren hatte ich vergessen.
Das mit dem Reagieren stimmt wohl auch, wobei sie durch evtl. riskante Manöver (wie das Radfahren) daraus auszubrechen versucht, also entweder die einzige Freiheit, oder tatsächlich auch nur wieder ein (ab)reagieren.
eine Art Krankheit trifft wohl zu, aber es wird durch ihre Traumwelt, in die sie dann (nach Aussage ihres Sohnes) verfällt, überdeckt.

Aber woran können wir festmachen, das der Sohn tatsächlich von Edwin stammt? Bisher doch nur an den Worten Edwins und an der Stammmutter, die ebenfalls ein uneheliches Kind ist und insoweit ein wenig Parallel zu sehen wäre.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Erwin B. am 31. Juli 2003, 15:12:18
Und vielleicht daran, dass es gar keinen anderen Vater gibt. Nirgendwo wird er erwähnt, es wird nur geschickt offen gelassen, ob da noch wer ist oder nicht. (oder hab ich was übersehen?)
Theoretisch kämen natürlich noch andere infrage, z.B. Boris vielleicht.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 31. Juli 2003, 15:20:05
Doch, er wird erwähnt: Das die Mutter geheiratet hat (glaube ich) und (da bin ich sicher), daß der Vater gestorben ist.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Makkharezz am 31. Juli 2003, 18:38:26
Ich wikll ja nicht Korinthenkacken, (alles vor "aber" ist gelogen...), aber Kolvars Bemerkung, dass die Mutter außer Mussolini nur fiktive Berühmtheiten trifft, muss ich vehement widersprechen: Willst du Bartok etwa als fiktiv abstempeln ????

Dann will ich dem Buch noch eine gute Eigenschaft zusprechen: Es hat eine Diskussion in Gang gebracht, in der wir mehrere verschiedene Deutungen auf den Tisch bringen. Das finde ich immer gut. Rech geben muss ih allerdings denjenigen von euch, die sich eine etwas ausführlichere Beschreibung der Mutter und ihres Innenlebens gewünscht haben. Mir geht's auch so, dass ich gern mehr über das "Wie" und vor allem das "Warum" gewusst hätte.

@Holgi: Wenn du dich mit der Musik des 20. Jahrhunderts beschäftigen willst, hast du meine Hochachtung. Ich musste mich ja in der Schule zwangsläufig mit Ligeti, Messien und Penderecki rumschlagen, und ich konnte so gar keinen Zugang finden. Bartok mal ausgenommen, den kann man auch ohne Drogen hören. Aber berichte doch mal, wie's dir dabei ergangen ist, das interessiert mich.

Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 31. Juli 2003, 20:15:22
jajaja, Bartok existiert auch, aber den hatte ich vergessen und ich halte ihn für die Mutter an sich auch nicht für so wichtig (oder für die Forest Gump Geschichte, um die es ging). So und da alles vor dem aber gelogen ist, existierte Bartok nämlich doch nicht (g).

Ansonsten wiederspreche ich jetzt, daß die Mutter zu wenig charakterisiert sei. Jeder, der dies behauptet, hat nur nicht genug interpretiert (Danke für ihre Aufmerksamkeit, ich gehe jetzt in Deckung)
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Holgi am 01. August 2003, 00:13:53
Um es einmal ganz klar zu sagen: Nichts spricht dafür, daß Edwin tatsächlich der Vater ist. Falls er es tatsächlich doch sein sollte (was ich nicht glaube), hätte der Autor das schon etwas andeuten müssen. Clara hatt (irgend)einen Mann geheiratet, der keine andere Funktion hatte als der Vater des Sohnes zu sein, der offenbar wiederum keine andere Aufgabe hat als ihre Geschichte zu erzählen. Ich kann mich allerdings noch sehr gut daran erinnern, wie es im Deutschunterricht immer hieß, daß ein "allwissender, personalisierter Dritter" als Erzähler nicht gerade als das Höchste angesehen werde. Wie auch imer: Mich hat´s nicht gestört. Solche Themen sind wohl auch eher etwas für Spezialisten. Mich interessiert in erster Linie, ob ein Autor eine gute Geschichte zu erzählen hat. In welcher Perspektive er es tut, ist zweitrangig. Noch ein Wort zum Selbstmord: Hat mich nicht gestört. Hat sich ja auch angekündigt, nachdem das (vermeintliche) Band zu Edwin endgültig zerschnitten worden war. Unstimmig fand ich den Selbsttmord jedenfalls nicht.

@ Makk:
Ich höre gerne mal Klassik des 20sten Jahrhunderts, obwohl ich Popmusik generell vorziehe. Jedenfalls plätschert es nicht so langweilig dahin wie vieles aus der "klassischen Klassik". Vieles ist faszinierend. Hörbar sollte es jedoch schon sein, so z.B. Gershwin, Strawinsky (!), Bartok, M.Nyman, Bernstein, Richard Strauss, Khatchaturian, P.Glass, Ligeti. Stockhausen und Konsorten sind nichts für mich.  

Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Chacota am 01. August 2003, 12:04:39
Ich finde die Idee einfach interessant, dass Edwin der Vater ist, wenn es für mich auch eher so ist, dass der Vater einfach keine Rolle spielt und deshalb nicht in Erscheinung tritt (sehe ich so wie Holgi).
@kolvar: Ja, die Mutter wird ständig 'beschrieben', nur fehlt mir manchmal halt der Hintergrund, warum sie so ist. Dann kann man zwar viel interpretieren, aber an manchen Stellen fehlts halt doch (da gehts mir wie Mak).

So, nun habe ich ein paar der Kritiken gelesen, aber da ich Paul Sacher nicht in Erwin gesehen habe läßt mich die schärftste Kritik völlig kalt; wie geht euch das?
Das zweite, dass es biographische Anlehnung an das Leben seiner Mutter (und ihn?) hat finde ich reizvoll, macht aber das Buch weder besser noch schlechter für mich.
Das Leiden des Sohnes habe ich nie so wahrgenommen, im Rückblick ist es aber durchaus spürbar, habe ich wohl überlesen.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 01. August 2003, 12:06:39
Zu Paul Sacher habe ich da nur gelesen, daß es zwar ähnlichkeiten gibt, aber auch nicht mehr. Zuviel läßt sich nicht unter einen Hut bringen (ich denke da ist Höfgen eher Gründgens als Edwin Paul -- Toller Satz)
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Holgi am 01. August 2003, 12:48:45
Wenn man so will, hat jeder Roman etwas Autobiographisches. Schließlich ist es einem Autor ohne eigene Biographie nicht möglich, fremde Biographien zu erfinden/nachzuerzählen. Der Verdacht, daß es sich um einen autobiographischen Roman oder gar um einen Schlüsselroman (weie "Mephisto") handeln könnte, hat sich mir beim Lesen jedoch nicht aufgedrängt. Eher im Gegenteil. Die festzustellende Distanz, die streckenweise sogar zur Kälte wird, ließe sich so kaum erklären. Übrigens würde ich das Werk eher als Erzählung bezeichnen und nicht- wie der Autor das tut- als Roman. Aber das nur am Rande.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Makkharezz am 01. August 2003, 18:26:18
Ich denke auch: für mich als Leser hat es nich so viel Bedeutung, ob es autobiographisch ist oder nicht, denn mein Bezug zur Geschichte ändert sich dadurch nicht. Für den Autor ist es mit Sicherheit ein Unterschied, aber das ist seine Angelegenheit, nicht meine. Solange ih unterhalten werde, darf sich jeder Autor auch gern durchs Schreiben seine Probleme wegtherapieren.  
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 01. August 2003, 19:43:26
Und ich dachte, wir wollen uns über den Roman unterhalten und ihn auch ein wenig analysieren und interpretieren, ihn evtl. verstehen und uns nicht darüber einig werden, wie wir ihn gefunden haben und was für einen Lesespaß wir daran hatten.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Holgi am 01. August 2003, 23:24:18
Was ist denn los, Kolvar? Wir analysieren und interpretieren doch. Das Buch bietet jedoch offenbar nur wenig Stoff zum Diskutieren. Anscheinend hatten wir alle sehr ähnliche Eindrücke beim Lesen. Vielleicht sollten wir uns beim nächsten Mal ein kontroverses Buch mit Sprengstoff aussuchen, etwa "Ausweitung der Kampfzone". Dann wird es heftig was zum Diskutieren geben. Versprochen. Allerdings bin ich mit unserer bisherigen Diskussion zum Thema Urs auch sehr einverstanden. Ich finde es jedenfalls interessant.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Chacota am 02. August 2003, 01:26:57
Hm, da gehts mir jetzt wie Holgi, eine absolute Interpretation liegt mir nicht so - und dem Buch auch nicht. Letztendlich ist es keine Metapher, sondern ein Roman, der mir nahe bringt, wie schrecklich unerwiderte Liebe ist und zwar auf einer Basis zwischen Roman und Erzählung, zwischen Fiktion und Realität. Mir fehlen die Ansatzpunkte für eine tiefergreifende Umdeutung.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 02. August 2003, 10:02:11
Mein Posting bezog sich vornehmlich auf M-Unaussprechlichs letzte Äußerung. Außerdem finde ich a.) daß wir nicht besonders viel interpretieren und b) das Buch schon so einiges an Interpretationsbedarf hat, sonst würde ja nicht die Meinung bestehen, daß die Mutter nicht ausreichend beschrieben wurde u.a.
Das meiste, was bisher gesagt wurde war eher auf der Ebene: Ich fands gut, wie fandst du es, oder das ist so, das ist aber nicht so. Und dann natürlich noch: es ist wie, es ist nicht wie jenes Buch/ jener Film. Das sind doch keine Interpretationen, aber man könnte welche draus machen.
Ich will auch keine "tiefgreifende Umdeutung", nur eine ausreichende Deutung, ein verstehen des Buches (was zumindest bei mir noch nicht gegeben ist, zumindest nicht so, daß ich es befriedigend nennen würde).
Chacotas ansatz erscheint ja auf den ersten Blick noch ganz nett, aber haben wir uns nicht alle mal unglicklich verliebt und haben uns trotzdem nicht von jährlichen Blumen abhängig gemacht um später Selbstmord zu begehen? Klar ist unerwiederte Liebe schlimm, und man hat auch daran zu knapsen, aber nicht so schlimm, daß ein auch nur halbwegs ausgeglichener Mensch ohne einen Selbstmord damit klar kommt oder Jahrelang ständig ins Wasser geht.
Der Geliebte ist, meiner Meinung nach, nur das Maß, an dem die Mutter gemessen wird. Sie ist nicht ganz dicht, um es mal salopp auszudrücken. Und es ist die Geschichte einer labilen Frau, die falsch verstanden, introvertiert, und in ihrer eigenen Welt gefangen ist, nicht die Geschichte einer Frau, die an ihrer unglücklichen Liebe zerbricht (oder zumindest nur zum Teil). Entweder das, oder sie ist niemals erwachsen geworden, denn meiner Meinung nach bringen sich fast nur Jugendliche wegen unerwiederter Liebe um.

Zum thema autobiorgraphisches: es gibt verschiedene Interpretationstheorien. eine davon ist "Der Tod des Autors", welche davon ausgeht, daß ein Buch komplett losgelöst vom Autor gelesen und verstanden werden muß. Halte ich nichts von, zumindest als alleiniger Ansatz. Es fängt damit an, daß unser Buch in der Schweiz spielt und Widmer Schweizer ist, er also als Insider über etwas schreibt, von dem er selbst betroffen ist, nicht als, vielleicht von den Schweizern genervter, Aussenseiter. Man kann den Autor nicht komplett außen vor lassen, um ein Buch zu verstehen, man kann ihn aber erste mal ignorieren und sehen, was man von einem Buch denkt, ohne etwas über den Autor zu wissen. Dies zeigt sich auch schon daran, daß es ja einen Nachfolgeroman gibt, der sich mit dem Vater beschäftigt, der damit bestätigt, daß es den Vater gibt. ohne diese Buch könnte man immer noch davon ausgehen, daß der Vater eine Metapher für irgend etwas anderes ist. Daher haben beide Ansätze zur vollständigen Anaylse ihren Wert. Aber ohne den Autor wird man etwas anderes in ein Buch hineinlesen oder es sowieso nur als Lektüre betrachten. Und dazu kann man einfach eine Rezension schreiben und hinterher glücklich sein, daß man was nettes gelesen hat.

Aber wenn allgemein die Meinung besteht, daß Urs nicht Interpretationswert ist, dann such jemand ein anderes Buch (mit den Vorgaben max 200 Seiten, nicht teuer und frei erhältlich) heraus, daß mehr Sprengstoff enthält.

So, jetzt könnt ihr eure Flammenwerfer anschalten und mich abkokeln.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Chacota am 02. August 2003, 16:11:08
Pech gehabt, hab grad keinen griffbereit und ausserdem ist dein posting noch keinen Flächenbrand wert.

O.k., es geht um das Innenleben der Mutter:
Jeder war mal unglücklich verliebt und hat sich nicht umgebracht - zählt nicht, dass solche Gefühle in Büchern überhöht werden und dadurch manchmal etwas unrealistisch wirken kann Zweck eines Buches zur Verdeutlichung des Themas sein.
Wenn ihre unglückliche Liebe nur als Anschauungsbeispiel für ihren Hau dient ist das Buch schlecht, denn der Hau interessiert mich nicht, da es keinerlei weiterführende Anhaltspunkte gibt was diesen hervorgebracht hat und wie ihre restliche Umgebung (Sohn, Gatte, Verwamndten) damit umgeht.
Für mich bleibt nur die Liebe und dann wirds interessant unter welchen Aspekten eine unglückliche Liebe so tragisch werden kann: Lieblose Kindheit, zweckloses Dasein, Verharren in Vergangenheit, Sturheit, kein Willen seinem Leben eine eigene, neue Richtung zu geben (dieses erneute Zusammentreffen mit Bartok ist da typisch) . . .

Das wäre mein weiterer Ansatz.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Makkharezz am 02. August 2003, 16:50:06
Falls das Niveau meiner Beiträge dem Anspruch dieser Runde nicht genügt, entschuldige ich mich  :p (Nich' so ernst nehmen, Cool-War)
Aber für mich ist bei einem Buch wichtig, was es MIR sagt, und nicht so sehr, was der Autor vielleicht für Symbole eingebaut hat oder ob er z.B. nebenbei noch irgendwelche Schweiz-spezifischen Dinge ansprechen will. Und ich finde, es ist auch interpretieren, wenn wir drüber reden, was uns das Buch sagt. Aber wenn jemand gern ein wenig tiefer interpretieren will, dann werfe er doch einfach eine entsprechende Frage in den Raum, über die wir uns gemenisam Gedanken machen können. Wie wär's zum Beispiel mit:

Was hat es zu sagen, dass Edwin schon beim 1. Auftreten mit Namen bezeichnet wird, dass man Claras Namen aber erst viel später erfährt, wenn sie von ihren Verwandten begrüßt wird, und dass ihr Ehemann überhaupt keinen Namen abkriegt?

Oder: kommt es durch die Erwartungshaltung der damaligen Gesellschaft, dass die Mutter gezwungen ist, so krampfhaft zu versuchen, eine gute Gastgeberin, Hausfrau, Ehefrau, Gärtnerin... zu sein? Oder kamen ihr vielleicht die etwas starren gesellschaftlichen Normen gerade recht, weil sie sich dahinter verstecken konnte und so nicht gewzungen war, eine besonders inidividuelle Persönlichkeit zu werden?
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 02. August 2003, 19:50:31
Sehr schön M-unaussprechlich.


@Chaco: Ja, stimme ich dir zu, daß das zur Verdeutlichung des Themas dienen kann, aber was ist wirklich das Thema.
Ich denke M-U. ist da auf einer Spur. erst einmal eine Gegenfrage dazu: ist sie wirklich keine individuelle Persönlichkeit?
Und versteckt sie sich wirklich dahinter, oder ist es so in sie eingebrannt, daß sie gar nicht aus ihrer Rolle heraus kommt und deshalb umso entwurzelter ist, als sie es nicht mehr ausführen kann. letzteres ist wohl nicht richtig, da sie ja zwischenzeitlich auch wieder die Gelegenheit dazu hat und trotzdem nicht glücklicher wird (oder ist sie da glücklicher? ich weiß es jetzt nicht).
Ich werde wohl noch einmal lesen, um evtl. dazu eine Antwort zu finden.

Was es zu bedeuten hat, daß Edwin gleich genannt wird, weiß ich auch nicht. Normalerweise würde ich sagen, damit wird seine Bedeutung hervorgehoben. Aber was ist seine Bedeutung? Ist er das Zentrum des Buches, um daß sich alles dreht? Wohl kaum. Die Mutter ist das Zentrum, die Hauptperson. Wahrscheinlich wird damit nicht die Bedeutung Edwins demonstriert, sondern das Selbstwertgefühl der Mutter.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Holgi am 03. August 2003, 01:03:31
Ich weiß nicht so recht, wie ich mich ausdrücken soll, aber ich versuch´s einfach mal (alte Anwaltstaktik): "Der Geliebte" hat nicht mein Innerstes aufgewühlt. Es war eine Empfehlung wert, und ich bin froh, daß ich es gelesen habe. Aber soviel Diskussionsbedarf sehe ich selbst nicht. Folgendes istt jedoch noch zu sagen: Die Mutter definiert sich nur über Edwin. Sie steigert sich dabei in einen Wahn, der sich verstärkt, als ihre realen Bezugspunkte zu Edwin immmer mehr abnehmen. Edwin selbst hat am Ende ja soger Mühe, sich an ihren Namen zu erinnern. und zwar Ihr (namenloser?) Sohn ist nur der Chronist, der Mann wir kaum erwähnt, die politischen Umwälzungen laufen an der Mutter vorbei. Sie ist vermutlich depressiv, aber ich tippe auch auf deutliche schizophrene Einflüsse. Schizophrenie äußert sich in den allerseltensten Fällen in einer Jekyll/Hyde-Smptomatik. Häufiger ist es, daß für den Betroffenen Wirklichkeit und Traum/Wahn nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Genau so dürfte es sich hier verhalten. Die große Leidenschaft existiert nur in ihrem Kopf. Wahrscheinlich ist sie- nicht zuletzt aufgrund ihrer eigenen Kindheit- gar nicht zu echter Liebe fähig. Auch Edwin scheint von Claras Liebe nicht allzu viel gespürtt zu haben, denn sonst wäre die Geschichte ja sehr viel anders verlaufen. Auch das wahnhafte Umgraben des Gartens, der Gang zum Wasser mit dem Kind auf dem Arm u.ä. sprechen für schizophrene Episoden bzw. für Boarderline-Symptomatik. Die Mutter ist bis zum Schluß nicht komplett durchgeknallt (siehe Abschiedsbrief), aber das ist ebenfalls nichts Ungewöhnliches.

@Kolkrab:
Du wolltest einen Vorschlag hören, also bitte sehr:

Michel Houellebecq, "Ausweitung der Kampfzone". rororo, ehemals 14,90 DM, heute wahrscheinlich 7,90 EURO, 170 Seiten Gewalt und Kampf der Geschlechter. Zündstoff pur.
 
Alternativorschläge:

-Jeremias Gotthelf, "Die Schwarze Spinne", erschienen bei Reclam,
Horror, Mittelalter, alles drin. Das pralle Leben.

-Kleist, "Michael Kohlhaas", ebenfalls Reclam. Dürften die meisten von uns bereits in der Schule gelesen haben. Wie weit sollte man gehen, um sein Recht durchzusetzen. Nach wie vor finde ich, daß es kaum ein anderes Buch gibt, über das sich so gut diskutieren läßt.


 
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 03. August 2003, 08:54:01
Ich denke, für Edwin ist es gleichgültig, ob die Liebe da war oder nicht. Die Mutter war für ihn uninteressant, deshalb hat er sie abserviert. (Immerhin hat sie nichts von der Hochzeit mitbekommen, d.h. es wurde ihr gegenüber wohl auch verschwiegen. Als so wichtiges Mitglied des Orchesters hätte er sie doch wohl einladen, oder wenigstens informieren können. Hat er aber nicht, d.h. sie wurde hintergangen, abserviert, wie auch immer. Was für mich bedeutet, daß Edwin schon was von der Liebe der Mutter wußte, sich aber als echter Egoist erwiesen hat, der er die ganze Zeit zu sein scheint, und sich überraschenderweise für den Reichtum entschieden hat. Ich denke Edwin ist es hier, der nicht zur Liebe fähig ist, nicht die Mutter. Ja, sie steigert sich da rein und ist nicht dicht, Und die Gründe, warum sie Edwin liebt, sind vielleicht auch nicht die reinsten, aber dennoch denke ich, daß es schon Liebe ist.


Michael Koolhas habe ich noch nicht gelesen, würde aber was bevorzugen, was noch niemand bisher gelesen hat, sonst würde ich die Ratten vorschlagen (oder die Gelehrtenrepublik).
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Makkharezz am 03. August 2003, 11:52:31
Ein ziemlich schlauer Leut hat mal gesagt, man kann erst dann andere Personen lieben, wenn man sich selbst liebt. Bei der Mutter habe ich nicht den Eindruck, dass sie besonders viel Selbstvertrauen hat oder sich akzeptiert. Eher versucht sie Leben lang, ihren Wert durch ihre Tüchtigkeit unter Beweis zu stellen, scheitert aber wohl an ihren eigenen Ansprüchen. Soweit man's aus dem Buch ablesen kann, glaube ich auch, dass die Mutter nicht in der Lage ist zu lieben.

Ob Edwin auch unfähig ist zu lieben, finde ich schwer zu sagen, denn von ihm ist zwar viel die Rede, aber man erfährt wenig über sein Innenleben. Er scheint sehr egozentrisch zu sein, aber ob er aus Liebe heiratet oder nicht, kann man nicht sagen.

Was die neuen Buchvorschläge angeht: Danke dass ihr euch Gedanken und Mühe macht, Vorschläge rauszusuchen. Mir fällt die Entscheidung schwer, da mir kaum eins der Bücher überhaupt was sagt, geschweige denn ich eins davon gelesen hätte. Schließe mich also gern der Mehrheit an, so lang das ausgesuchte Werk nicht zu umfangreich ist und für Normalsterbliche verständlich. (Sorry Holger, James Joyce ist damit aus dem Rennen ;) )
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 04. August 2003, 10:13:35
Hab jetzt noch mal, zufallsmäßig ins Buch geschaut und bin auf die Bergsteig-Szene gestoßen. Und da ist mir aufgefallen, daß sie
a.) sich für Begeisterung begeistert (Edwin ist von seiner Musik begeistert, ihr Vetter von Mussolini)
b.) stark sein kann, wenn andere schwach werden (sie übernimmt die Führung und ändert ihre gesamte Verhaltensweise als ihr Vetter sich vor Angst in die Hose macht)
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Makkharezz am 04. August 2003, 21:11:05
Überzeugt mich nicht wirklich: Ist sie in der Szene denn innerlich stark? Sie selbst hat ja keine Angst vor dem Gewitter, sondern kümmert sich nur - mal wieder - um Notwendigkeiten, weil Boris das nicht auf die Reihe kriegt. Genauso wie sie früher im Orchester alles organisiert und an alle Dinge gedacht hat, die Edwin sonst vergessen hätte. Es sei denn, die Szene soll irgendwas Symbolisches darstellen, was weiß ich, das Gewitter als Sinnbild für die Widrigkeiten des Lebens oder so, dann hätte ihre Führung eine echte Bedeutung. Ansonsten ist das für mich nur Funktionieren.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 04. August 2003, 22:41:21
Das wäre ein Analyse ansatz. Daß heißt aber nicht, daß sie in der Szene nicht stark ist, sondern daß die Stärke auch eine Funktion ist. Überhaupt fällt an der Szene auf, daß überhaupt nichts über die inneren Gefühle der Mutter gesagt wird (es wird erwähnt, daß ihr Kalt ist). Im großen und ganzen kommt mir die Beschreibung vor wie die einer altmodischen Mutter, die sich um ihren unartigen Sohn kümmert.
Wenn das Gewitter eine Simbolfunktion hat, dann würde dies bedeuten, daß sie die Widrigkeiten des Lebens in der Lage zu meistern ist, wenn es sein muß. Dies würde zum Umgraben des Gartens und ihrem Asspruch, daß sie den Frieden bestehen muß (wobei sie dann schon wieder ein innigeres Verhältnis zum Hund als zu jedem anderen zu haben scheint). Der Krieg ist eine Widrigkeit, der sie sich entgegen stellen kann.
Aber irgendwie ist sie da wiederum gespalten.
Und dann folgt die Geburt ihres Sohnes. Hier gibt es wieder die inneren Gefühle, aber hier zeigt sich, daß sie nicht demjenigen Mutter sein kann, dem sie es eigentlich will. Sie vermag das Kind nicht zu lieben. Weil es nicht Edwin ist? Weil es nicht Edwins ist? Weil es Edwins ist? Weil sie nicht in der lage dazu ist?

Naja, anders als irgendwie jeder andere hier, muß ich von mir sagen, daß ich, für mich, noch nicht den Schlüssel zu dieser Figur gefunden habe. Sie ist in irgendeiner Weise Geistesgestört. OK. Sie steigert sich in Sachen rein, ist Begeisterungsfähig für Begeisterung und große Auftritte, ist anscheinend oberflächlich, unterdrückt ihre Sehnsüchte etc. aber irgendwie wird sie, je länger ich über sie nachdenke, immer unschlüssiger für mich.
Auch das Buch an sich verliert immer mehr an Konsistenz.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Makkharezz am 05. August 2003, 11:56:54
Für mich macht das Sinn, und zwar folgendermaßen: Mit allen äußeren Einflüssen kann die Mutter hervorragend fertig werden: Knifflige Aufgaben, Gewitter, schwierige Lebensumstände, Krieg usw. Sobald aber ihr Inneres betroffen ist, kriegt sie es nicht auf die Reihe: Ihre Liebe zu Edwin, ihr Sohn, ihre Wünsche und Bedürfnisse, das alles sind Probleme, die sie nicht ansatzweise lösen kann, und an denen sie letztendlich auch zerbricht.  Wahrscheinlich ist sie bei den "äußerlichen" Aufgaben gerade deshalb so kompetent, weil sie unbedingt vor ihren inneren Problemen flüchtet und sich deshalb mit aller Kraft den äußeren Dingen widmet.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 05. August 2003, 13:47:14
Ja, das macht Sinn. Trotzdem merke ich doch, daß die Mutter meinem Gefühl entgleitet.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Holgi am 05. August 2003, 15:20:25
Wie sieht eigentlich unser weiterer "Fahrplan" aus? Wer erklärt die Diskussion beendet? Und wann? Gibt es einen Endpunkt? Und wie wollen wir unser nächstes Buch bestimmen?

Mein Vorschlag: Diskussion bis einschließlich 02.06., danach bestimmt jemand das neue Buch. Kriterien wie bisher: bis zu 200 Seiten, preiswert, diskussionswürdig.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 05. August 2003, 18:16:49
Ich erkläre die Diskussion hiermit für beendet. Ich habe sie ja auch eingeleitet.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Holgi am 05. August 2003, 21:08:08
Dann warten wir jetztt alle auf Dein endgültiges Fazit!
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 05. August 2003, 22:16:53
Mein Fazit? Ich hatte was anderes erwartet für eine Diskussion/ Analyse/ Interpretation, M-Unausprechlich kam mir da am Ende sehr entgegen. Aussagen wie: Dies gibt nicht viel her, finde ich, ganz persönlich, ein wenig schwach, weil man aus fast jedem Buch was rausholen kann, und nicht nur aus denen, die "Zündstoff" bieten.
Außerdem habe ich festgestellt, daß ich nächstes Mal das Buch zeitnaher lesen sollte, dann habe ich nicht so viel vergessen. Und man kann es nicht so nebenehr machen, wie ich es getan habe.
Als letztes habe ich festgestellt, daß es mir am Ende keinen Spaß mehr gemacht hat, weil es mich dann einfach nicht mehr interessiert hat. Das Buch ist mir jetzt ferner als am Anfang.

Oder meinst du ein Fazit des Buches? Irgendwie nett.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Holgi am 06. August 2003, 22:48:48
So ganz folgen kann ich Dir nicht, Kolvar. Du bezeichnest das Buch als "irgendwie nett" und hast dann auch schon relativ schnell -offenbar- relativ viel vergessen. Mir gehtt es ähnlich, obwohl ich dem Buch immerhin eine 2 bis 2- geben würde. Eine Lektüre, die relativ wenig Widerhaken bietet (in Form von Sprengstoff und/oder emotionaler Tiefe), führt eben zu einer etwas dahinplätschernden Diskussion, ohne das werten zu wollen. Als studierter Germanist bringst Du auch mit Sicherheit mit einem akademischeren Impetus an die Sache ran als der "Rest" von uns. Insoweit ist Nachsicht gefragt. Mir geht es in erster Linie um einen Meinungsaustausch und erst in zweiter Linie um eine Analyse. Nichtsdestotrotz habe ich Deine Beiträge mit Interesse gelesen und -zumindest zum Teil- auch Stellung bezogen. Dafür, daß es unser erster Versuch war, finde ich den Verlauf der Diskussion gelungen. Was jedoch nicht heißt, daß wir uns nicht noch steigern können.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Trispin am 07. August 2003, 11:24:10
Mein Fazit:
Mein Fall war die Diskussion nicht gerade, obwohl ich sie verfolgt habe.
Das liegt durchaus nicht an der Art wie sie geführt wurde oder euren Ansätzen.
Vielmehr liegt mir dies ganze drumrumgerede nicht so sehr, wie ich bereits im Vorfeld erwähnt hatte; und ich vermute mal, dass es auch an dem Buch selbst gelegen haben könnte, da es vielleicht einfach nicht genug Ansatz zur kontroversen Diskussion geboten hat.
Ich werde aber gerne noch einen Versuch starten, und bin beim 2. Buch auch wieder mit dabei. Vielleicht komme ich ja noch auf den Geschmack.
:)
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Chacota am 07. August 2003, 11:35:12
Vieles von dem, was gesagt wurde kann ich zustimmen, mehr kommt bei mir auch nicht. Komisch ist, dass ich das Buch zu Anfang der Diskussion besser fand als jetzt am Ende, normalerweise gehts mir immer genau anders herum.
Zum allgemeinen Verlauf: Ich fands o.k., es ist auch gut, dass wir nun besser die unterschiedlichen Erwartungshaltungen kennen, Meinungsaustausch versus Interpretation, wir haben beides ein wenig gehabt und dabei können wir auch bleiben, alles andere sprengt den Rahmen (und meine Tippfinger).
Zum nächsten Werk: Gerne den Franzmann, wir haben in Mü schon herrlich über sein 2.Buch gestritten und Carsten war von der Kampfzone angetan (und wann liest er schonmal ein Buch zuende!).
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 07. August 2003, 12:00:25
Wer ist noch für Kampfzone?
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Erwin B. am 07. August 2003, 16:29:29
Ich stehe Houellebecq (schreibt der sich so?) zwar recht kritisch gegenüber, was ich so an Interviews mit ihm gelesen habe, aber es verspricht natürlich interessanten Diskussionsstoff, wenn wir´s nehmen. Und da ich noch nix von ihm gelesen habe, umso besser. Bin dafür!
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Makkharezz am 07. August 2003, 17:58:54
Wie gesagt, ich schließ mich gern der Allgemeinheit an, und als Beweis, dass ich nicht nur Mitläuferqualitäten bsitze: ich scheue auch keine kontroversen Diskussionen
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: kolvar am 07. August 2003, 20:11:01
Na, da wäre es dann wohl entschieden.
bis zum 25.06.?
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Holgi am 07. August 2003, 23:51:20
25.06. ist kein Problem, da ich das Buch ja sowieso schon gelesen habe. Werde es jetzt jadoch noch mal lesen, damit alles noch frisch ist.
Titel: Replying to Topic 'Urs Widmer: Der Geliebte der Mutter'
Beitrag von: Rangoon am 08. August 2003, 17:04:00
Soll Chaco Recht sein